Kaatsu trifft Fußballer

Kaatsu trifft Fußballer 💪⚽ ...

Als ich mich Ende September 2019 bei Dorian Westenberger meldete, war meine  Verzweiflung riesig. Ich hatte einige Wochen zuvor beim Aufwärmen vor einem Testspiel  einen Sprint gezogen und dann ein Ziehen im linken Oberschenkel verspürt. Im Nachgang  betrachtet hatte ich mir vermutlich eine Adduktorenzerrung zugezogen.

Der richtige Umgang mit akuten Verletzungen ist extrem wichtig, um langfristige  Ausfallzeiten zu vermeiden und das Risiko einer chronischen Schmerzsymptomatik zu  minimieren. Dabei sind sowohl das Ignorieren, aufgrund des zu gering eingeschätzten  Ausmaßes der Verletzung, als auch das Schonen per se zwei häufig zu beobachtendem Fehler.  

Ich bin ein sehr ehrgeiziger Typ und habe die Verletzung im ersten Moment nicht ernst  genommen. Deshalb habe ich über 90 Minuten gespielt und der Schmerz verflog durch das  Adrenalin. Als mein Körper nach dem Spiel jedoch zur Ruhe kam, wurde der Schmerz stärker.  Bis dato hatte ich mit Adduktoren- oder vergleichbaren Verletzungen keinerlei Probleme.  Ich konnte die Verletzung nicht einschätzen. Es war Vorbereitungszeit und ein neuer Trainer  mit an Bord: Aufgrund dessen wollte ich mich beweisen, als Führungsspieler voran gehen  und voll mitziehen. Im Nachhinein der größte Fehler, den ich machen konnte. Ich legte in  den Folgewochen mehrfach kurze Pausen über ein paar Tage ein, da die Schmerzen nicht  weniger wurden. Jedoch begann ich dann zu schnell mit falschen fußballspezifischen Belastungen. Ich konnte zum damaligen Zeitpunkt nicht steuern, was meinem Körper in  diesem Moment guttut und was ihm zu viel ist. Die Folge war, dass sich die Verletzung  verschlimmerte anstatt verbesserte, sodass die Schmerzen immer größer wurden.

Der Ehrgeiz wurde hier zum Verhängnis. Da es augenscheinlich eine tatsächliche  Verletzung bestimmter Strukturen war, hat es wenig Sinn gemacht mit hohen  Belastungen weiterzumachen. Damit kann der Körper die vorhandene Schädigung  nicht „reparieren“. Hinzu kommt, dass der Heilungsprozess nicht nur eingeschränkt wird, sondern es besteht die Gefahr, dass er sich verschlechtert. Dem betroffenen  Bereich etwas Ruhe zu geben bzw. geringe Belastungen zu wählen, während man die  umliegenden Strukturen weiterhin bewegt und trainiert wäre in diesem Fall  empfehlenswert gewesen.

Das Problem bestand darin, dass ich nie so richtig definieren konnte, wo genau ich den  Schmerz verspürte. Anfangs war es die Oberschenkel-Innenseite und nach wenigen Wochen  wanderte er weiter nach oben in Richtung Leiste. Manchmal verspürte ich das Ziehen auch  in der unteren Bauchregion. Mal war es für ein paar Tage besser, dann spürte ich das  Stechen wieder.

Die Heilung ist bei bestimmten Strukturen unterschiedlich lang. Bleibt ein Schmerz  längere Zeit über die Zeitspanne bestehen kann es sein, dass der Heilungsprozess  längst abgeschlossen ist, der Schmerz aufgrund von Sensibilisierung weiterhin über  das Nervensystem bestehend bleibt. Hier hat der eigentliche Schmerz mit dem Grad  der Schädigung nichts mehr zu tun. In diesem Fall spricht man von chronischen  Schmerzen.

Ein weiterer aus meiner Sicht fataler Fehler, war das Einnehmen von Schmerztabletten vor  dem Spiel. Dadurch konnte ich ganze zwei Spiele bestreiten. Die Schmerzen nach der  Belastung waren jedoch sehr stark und nicht mehr auszuhalten.

Der menschliche Körper verfügt über eine körpereigene Apotheke. Das  periaquäduktale Grau (PAG) gehört zum deszendierend-hemmendem Schmerzsystem,  denn hier werden die körpereignen Opiate ausgeschüttet. Die Wirkung dieser  endogenen Opiate ist so stark, dass der Körper in der Lage ist, die  

Informationsübertragung am Hinterhorn komplett zu blockieren und somit Schmerzen  stark bis gänzlich reduzieren kann. Durch Schmerzmittel wird dieser Vorgang  unterdrückt. Deshalb sollte das Einnehmen derartiger Substanzen überlegt eingesetzt  und auf einen begrenzten Zeitraum eingeschränkt werden. Eine Einnahme von  Schmerzmittel, um Sporttreiben zu könne sollte an und für sich vermieden werden.  

Ich entschied mich für einen Termin bei einem Orthopäden. Seine Diagnose hieß „Weiche  Leiste“ – Ausfallzeit ungewiss. Zum einen war ich erleichtert zu wissen, was los war. Zum  anderen natürlich traurig, aber auch verunsichert, wie lange sich die Heilung wohl hinziehen  würde und, was ich nun aktiv machen konnte und was nicht. Was ist förderlich für die  Heilung, was eher kontraproduktiv. Ich wollte nicht nur zuhause sitzen und zusehen, wie es  irgendwann hoffentlich besser wird.  

Aus diesem Grund kontaktierte ich Dorian. Ich kannte Dorian zum damaligen Zeitpunkt, weil  er als Athletiktrainer die SGM Stein/Neuenstadt/Kochertürn betreute. Wir hatten losen  Kontakt und hatten das ein oder andere Mal miteinander geschrieben.  Wir vereinbarten eine Mitgliedschaft im Gesundheitszentrum „Elithera Stein“ und ich  begann dort unter Aufsicht von Dorian Woche für Woche meine Übungen zu absolvieren. Zu  Beginn ging es um das Verständnis rund ums Thema Schmerz. Dann fingen wir mit Ansteuern  der Bauchmuskulatur an. Zusätzlich standen neben speziellen Dehn-, Beweglichkeits- auch Stabilitätsübungen auf dem Programm. Das Vertrauen in den eigenen Körper  wiederzuerlangen hatte oberste Priorität. Fußballspezifische Übungen und Joggen waren vorerst Tabu. Die Schmerzen wurden weniger, das Gefühl besser. Doch leider stieg ich zu  früh ins Fußballtraining ein, da die Schmerzen noch da waren.

Zu Beginn war es wichtig, dem Patienten die Angst vor Belastungen zu nehmen. Sogenanntes Fear-Avoidance-Verhalten ist ein häufig zu beobachtendem Phänomen und führt unweigerlich zu einer Reduktion des Bewegungsverhaltens. Hierbei kann es  Sinn machen auf Belastungen, welche der Patient mit Schmerzen verknüpft, zu  verzichten, aber trotzdem dem Patienten die Sicherheit geben, dass der Körper  Belastungen akzeptiert. Der Wiedereinstieg in eine Sportart sollte demnach nicht zu  früh und gut geplant werden.

Deshalb setzte ich das individuelle Training fort. Es kamen Beinkräftgungsübungen mit der  Langhantel hinzu. Wir variierten die Belastung und nach weiteren drei Monaten begann ich  im März mit dem Lauftraining. Es war ein großartiges Gefühl.

Nachdem das Vertrauen in den Körper nach und nach zurückkehrte, konnte das  Übungsrepertoire erweitert und progressiv die Belastungen angepasst werden. So war  es dem Patienten nicht nur möglich höhere Intensitäten zu tolerieren, sondern  weiterhin sportartspezifischen Bewegungen, ohne jegliche Angst, näherzukommen.

Nun wollte ich ins Mannschaftstraining einsteigen. Jedoch hatte ich große Angst, dass der  Schmerz bei Bewegungen mit großer Belastung wie dem Starkpass oder Vollspannschuss  wieder auftreten könnte. Schließlich hatte ich diese Bewegungen über mehrere Monate  nicht mehr gemacht.  

 

Hier kam Kaatsu ins Spiel. Dorian hatte mir von dieser für mich unbekannten Methode  erzählt. Wir vereinbarten fünf Einheiten verteilt auf mehrere Wochen und ich war sehr  gespannt, was mich erwarten würde.

KAATSU bedeutet „zusätzlicher Druck“ und wurde in Japan von Dr. Yoshiaki Sato  erfunden. Über sensorgesteuerte Luftdruckbänder an den Armen oder Beinen wird die  Blutzirkulation im Organismus so verändert, dass mit sehr leichten Übungen  Trainingseffekte erzielt werden können, wie sie normalerweise nur in Verbindung mit  hoch-intensivem Training zu beobachten sind. Aufgrund der geringeren  Schmerzwahrnehmung konnten wir dadurch sportartspezifische Bewegungen  bedenkenlos durchführen und gezielt die letzte Hürde für Geist und Körper nehmen.  Gerade bei Menschen, die bestimmte Belastungen noch nicht tolerieren ist die Kaatsu Methode eine perfekte Möglichkeit, um mit geringeren Widerständen  

leistungsfähiger zu werden. Somit wäre eine Intervention bereits zum Zeitpunkt der  Verletzung möglich gewesen. Dadurch hätte man den Verlauf anders steuern und  eintretende Risiken vermeiden können.  

Zu Beginn war es ein ungewohntes Gefühl, wenn sich der Druck in den Schlingen, die um  meine Oberschenkel angebracht waren, erhöhte. Wir begannen mit einfachen  Beweglichkeitsübungen für die Adduktoren und den Rumpf und erweiterten das Training mit  explosiven Bewegungen wie Sprünge und schnellen Richtungswechsel. Zuletzt kamen die  oben erwähnten fußballspezifischen Übungen hinzu – endlich! Von Einheit zu Einheit traute  ich mich mehr „durchzuziehen“ und verspürte durch den Druck in den Schlingen keinerlei  Schmerzen mehr. Nach den dreißigminütigen Einheiten war ich schweißgebadet und  erschöpft. Das Gefühl war jedoch unglaublich.  

Die Anlagestellen der Luftdruckbänder sind bewusst gewählt, um den größtmöglichen  Effekt für den gesamten Körper zu erzielen. In der ersten Einheit ist es wichtig, den  Optimaldruck (Druckwert, den man über das Gerät in die Bänder gibt, bei dem der  Trainingseffekt am höchsten ist) zu bestimmen. Dieser ist von vielen Faktoren (Alter,  Trainingszustand, Körperfettanteil, Umfang, Hautfaltendicke, …) abhängig und kann  an verschiedenen Tag bei der gleichen Person individuell abweichen.

Im Anschluss beginnt man mit dem KAATSU-Cycle zu arbeiten (Druck wird zwischen  20-30 Sekunden aufgebaut und entweicht im Anschluss für 5 Sekunden), um den  Trainierenden sukzessiv an den Druck und die damit verbundene Belastung zu  gewöhnen. Während der Druckphase werden gezielte Übungen mit niedriger  Intensität und dem Leistungslevel des Trainierenden entsprechend durchgeführt.

Je nach KAATSU-Erfahrung und Trainingszustand kann die Intensität über die Höhe  des Drucks und die Druckdauer nach und nach gesteigert werden. Das  Trainingsprogramm kann individuell und dem Ziel entsprechend angepasst werden  (Schmerzreduktion, allgemeiner Muskelaufbau, sportartspezifische Bewegungen, …).

Ich traute mich von nun an auch wieder im Training mit Ball alle Bewegungen zu machen.  

Neben der Tatsache, dass mich Dorian und das Elithera Gesundheitszentrum hervorragend  betreut haben, bin ich sehr froh, die Kaatsu-Methode in den letzten Schritt der Heilung  miteingebaut zu haben. Durch Kaatsu war es mir möglich, Bewegungen durchzuführen, die  mir auf herkömmlichem Weg vermutlich noch Schmerzen bereitet hätten. Zudem hat Kaatsu  mir die Angst genommen, diese Bewegungen wieder und wieder zu machen.  

Ich hatte seit diesem einschneidenden Erlebnis vor drei Jahren noch zwei weitere Male  Probleme mit Zerrungen in den Adduktoren und es wird bestimmt auch in Zukunft noch die  eine oder andere Verletzung hinzukommen. Ich habe jedoch im Vergleich zu damals gelernt,  anders auf meinen Körper zu hören und auf Verletzungen mit einem anderen Mindset zu  reagieren. Kaatsu habe ich seither immer wieder angewandt, da mir dieses Training bei  Verletzungen und der Prävention extrem hilft.

Zurück